Identità - Pellegrinaggio all’ Amore
Identität – Wallfahrt für die Liebe
Uraufgeführt am 29.10.2009, im i-camp, Neues Theater München.
Aktuelle Termine:
14+ 15 Feb. 2014 München, i-camp
28. Feb. 2014 Taranto/ Italien
Idee / Choreographie / Regie / Tanz: Yvonne Pouget
Gesang / Schauspiel: Pino De Vittorio (Italien)
Chitarra Battente: Marcello Vitale (Italien )
Tanz: Katharina Neuweg / Damien Liger
Bühnenbild / Gestaltung des Bühnenraums: Hélène Yousse (Spanien)
Lichtdesign: Rainer Ludwig
„Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
“
(Joseph von Eichendorff)
Die poetische Übersetzung der urspünglichen Bedeutung einer Pizzica Tarantella in Form eines rituelles Theaterlabors.
Für ihre neue Produktion „Identità – Pellegrinaggio all´amore“ konnte Yvonne Pouget eine erlesene Besetzung aus international renommierten Künstlern unterschiedlicher Sparten gewinnen. Gemeinsam mit der Bildhauerin Hélène Yousse (Spanien), dem Sänger und Schauspieler Pino De Vittorio (Italien), dem Chitarra-Battente-Virtuosen Marcello Vitale (Italien), der Tänzerin Katharina Neuweg und dem Tänzer Damien Liger entführt sie ihr Publikum in eine berauschende Welt der Sinnlichkeit. In eine tiefgründig-geheimnisvolle Theaterwelt in der die Seele Süditaliens atmet, in der logisches Verstehen überflüssig ist, wo der Klang zur Gebärde und die Aufführung zu einem Raum wird, in den das Publikum eintritt und spürt.
Inhaltlich setzt Pouget dabei die Erforschung ihrer zwei Hauptthemen fort: Die Möglichkeit eines erfüllten (Über)Lebens unter den erschwerten Bedingungen von Gewalterfahrung, Trauma und Tod. Grundlage ist diesmal konkret das komplexe Thema der Weitergabe von Kriegstraumata an die nächsten Generationen. Zur Umsetzung für ihr „rituelles Theaterlabor zur methaphysischen Wunscherfüllung und Reinigung“ wählt die Choreographin die ursprüngliche Bedeutung einer Pizzica Tarantella, die sie von einem individuellen Schicksal auf eine ganze Generation ausweitet.
Als allegorische Personifizierung einer kriegstraumatisierten Seele, erschafft Pouget als Ausgangspunkt ihrer Inszenierung die Figur der „Fanciulla“- die „Tarantate“ der Wallfahrt für die Liebe. Pouget versteht die „Fanciulla“ als methaphysische Stellvertreterin“ der kriegsgeschädigten Menschen in der Generation ihrer Großeltern und Eltern. In dieser Stellvertreterin verdichtet Pouget die lebenslange Sprachlosigkeit und Das Abspalten- müssen einer verstummten Generation.
Zitat aus der Abschiedsvorlesung von Michael Ermann anlässlich der Entpflichtung als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München am 20.3.2009:
„Menschen, die mit ihrer Hilflosigkeit allein gelassen werden, verleugnen und verdrängen ihr Erleben und kapseln es ab. Daraus entstand bei vielen Kriegskindern eine Unfähigkeit, ihr Schicksal als Teil ihrer Identität gefühlsmäßig anzunehmen. Sie entwickeln sich gleichsam zu stummen Zeugen der eigenen Geschichte. Es sind Menschen, die ihre Biografie als Kinder der Kriegs- und Nachkriegszeit kennen, aber keinen gefühlsmäßigen Kontakt dazu haben. Sie kennen die Fakten, wissen um die Geschehnisse, aber sie erleben sie so, als hätten sie keine besondere Bedeutung. Dieser Komplex ist in den meisten Leben nicht wirklich zu bewältigen und bewirkt die Unfähigkeit zu trauern. Er bildet den Kern dafür, dass die Not vieler Kinder der damaligen Zeit nicht gesehen oder schlicht verleugnet wurde. Was nicht gespiegelt und nicht verstanden wird, wird letztlich abgespalten oder verdrängt. In der Verdrängung können Entbehrungen und Verzicht aber nicht betrauert werden.“
Auch in Italien halten viele Pizzica (Tarantella) für etwas simples, für einen Volkstanz. In der apulischen Region Salento war die ursprüngliche Bedeutung der Pizzica jedoch eine völlig andere, und hatte nichts mit einem Touristen- und Medienereignis einer „Nacht der Tarantella“ zu tun. Eine „Tarantate“ ist heute eine Frau mit akuten Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Beim Auftreten solcher massiver Symptome würde man der Notarzt rufen, bis vor ca. 50 Jahren haben die Menschen im Salent „die Musiker“ geholt.
Als Begleiter dieser intensiven Seelenreise konnte die Choreographin den Sänger und Schauspieler Pino De Vittorio gewinnen. De Vittorio blickt auf eine lange Theaterkarriere zurück, in der er in den musikgeschichtlich bedeutendsten Werken von Roberto De Simone als Hauptdarsteller auftrat. Heute ist er Solist der „Capella Pietà de´ Turchini“ unter der Leitung von Antonio Florio, die sich auf die Aufführung von neapolitanischer Barockmusik spezialisiert hat, und zählt zu den wichtigsten Barockinterpreten weltweit. Die Inszenierung „Partenope“ des Orchesters ist der Höhepunkt der diesjährigen Festspiele im Teatro San Carlo, Neapel (Italien). Neben dieser Rolle als führender Barockinterpret ist De Vittorio passioniert von der traditionellen Musik seines Landes und hat vor mehr als 25 Jahren damit begonnen, die Lieder seiner Region zu sammeln, indem er die Dörfer Apuliens bereiste und die alten Gesänge auf Tonband aufzeichnete und somit vor dem Vergessenwerden rettete. Seine einzigartigen Interpretationen der Tarantellas sind die pure, herausgeschälte Essenz dieser Musik, sie enthält ein sehr altes sozio-kulturelles Wissen von Heilung.
Nach Jahren der intensiven Recherche und mehreren erfolgreichen Projekten (u. a. „Pane in cielo“, 2003, „Corporalità“, 2004, „Il viaggio – la smorfia della vita“, 2006, „Hoch oben weites Blau – vita tu mi fai morire“, 2008) kann Yvonne Pouget zu recht als Expertin für die tänzerisch-theatralische Umsetzung dieser Themen gelten. Um ihre Inhalte zu transportieren wählt sie facettenreiche Ver¬schlüsselungen, in die sie ihre eigene ungewöhnliche Lebenserfahrung und Fragmente ihrer Biografie hineinwebt. Sie bezeichnet ihre ganz spezifische Formsprache jenseits des „klassischen„ zeitgenössischen Tanzes als einen Akt der symbolischen Wunscherfüllung. Ihre Arbeiten nehmen in der freien Tanzszene dadurch einen besonderen Platz ein.
Die Bildhauerin Hèléne Yousse entwirft erneut für die Produktion das Bühnebild. Sie erweitet so die ausdrucksstarken Bildschöpfungen der Choreographin mit der Bilderwelt ihrer Skulpturen.
Seit 1995, nach Abschluss des Kunststudiums, lebt und arbeitet Hélène Yousse in Katalonien.
Ihre Skulpturen präsentieren Frauen in realer Körpergröße, fixiert in ihrer Haltung und ihrem Ausdruck. Durch die Materialien, die sie verwendet, lassen die Skulpturen an Mumien oder an versteinerte Figuren denken.
Ergänzt und erweitert wird diese außergewöhnliche Künstler-Partnerschaft durch die Tänzerin Katharina Neuweg und den Tänzer Damien Liger. Mit beiden inszenierte Yvonne Pouget bereits in der Produktion „Il viaggo- la smorfia della vita“ (2006). Neuweg und Liger verfügen nicht nur über hervorragende klassische und zeitgenössische Tanztechnik, sondern auch über eine jeweils ausgereifte Künstlerpersönlichkeit. Beiden gelingt es sich mit Hingabe und bewundernswertem Einsatz auf die komplexe choreographische Sprache von Pouget einzulassen und diese mit ihrer eigenen künstlerischen Ideen und Können zu erweitern.
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