Die Füße und Ohren der Engel
Die Füße und Ohren der Engel – Leben mit Ersatzteilen
Ein Tanztheater von Yvonne Pouget
In Kooperation mit dem Deutschen Museum und dem Kulturreferat München
Über die Intensität des Augenblicks als einzige Antwort auf die Vergänglichkeit und die grenzenlosen Kräfte der Seele: Dasselbe, das uns zerrüttet, kann uns tragen wie Flügel.
www.accesstodance.de/blog/26102/an-evening-full-of-emotion
Premiere: Donnerstag, 7. November 2013, 20:00 Uhr
Weitere Vorstellung: Freitag, 8. November 2013, 20:00 Uhr
SPIELORT Deutsches Museum
http://www.deutsches-museum.de/ausstellungen/neue-technologien/tanztheater/
https://www.facebook.com/events/463629470387342/
Link zur Pressemitteilung:
http://www.knoll-pr.de/files/uploads/Pouget__Premiere_FUESSE_UND_OHREN_DER_ENGEL__16.10.13.pdf
Für ihr neues Tanztheaterprojekt „Die Füße und Ohren der Engel – Leben mit Ersatzteilen“ konnte die freischaffende Künstlerin, Choreografin, Regisseurin und Tänzerin Yvonne Pouget das Deutsche Museum nicht nur als besonderen Aufführungsort, sondern auch als Kooperationspartner gewinnen.
Das Projekt greift den Titel und das Thema einer Sonderausstellung des Deutschen Museums zur Prothetik aus dem Jahre 2004 auf und beleuchtet ein „Leben mit Ersatzteilen“ aus der Künstlerperspek- tive. Das faszinierende Tanz-Stück erforscht dabei vor allem die Befindlichkeit und die Antriebskräfte der Seele nach dem Verlust der körperlichen Unversehrtheit.
Etwa 15% aller Menschen weltweit müssen mit einer Behinderung leben. Manche davon können durch verschiedene Hilfsmittel, wie Prothesen oder Implantate, zum Teil ausgeglichen werden. So fällt die Behinderung oftmals für das Umfeld nur mehr wenig auf. Doch wie gehen Betroffene mit ihrem Handicap um?
Die Choreografin und Regisseurin Yvonne Pouget, die über das Thema aus eigener
Erfahrung resümieren kann, wird dem Besucher in ihrer Performance mit den Mitteln des Tanzes und der Musik ein Gefühl dafür geben, wie es ist, wenn der Körper auf einmal nicht mehr „richtig“ funktioniert.
Hinweis: Am Mittwoch, 6.11. um 19 Uhr spricht Prof. Dr.-Ing. Robert Riener vom Institute of Robotics and Intelligent Systems der ETH Zürich in seinem Vortrag “Vom Androiden zum Assistenten” !über Roboter in der Rehabilitation und Prothetik (Vortragreihe “Wissenschaft für jedermann”. Deutsches Museum).
Idee / Choreografie / Regie / Tanz: Yvonne Pouget
Tanz / Choreografie: David N. Russo, Natalia Palshina Gesang / Performance: Giacomo Di Benedetto Obertongesang / Sopran / Livemusik: Anna-Maria Hefele Lichtdesign / Video: Rainer Ludwig
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München, dem Deutschen Museum und mit freundlicher Unterstützung durch Tanztendenz München e.V. statt.

Tickets: € 18.- / ermäßigt 14.-
Reservierung: Tickets können vom 7.10. bis einschließlich 6.11. unter tanztheater@deutsches-museum.de und Tel. 089/2179-355 reserviert werden. Abendkasse: An den Veranstaltungstagen ab 18:30 Uhr.
ÜBER DIE TANZTHEATER-PREMIERE
Die Choreografin und Regisseurin Yvonne Pouget, der im November 2012 eine Bandscheibenprothese aus Titan und Keramik implantiert wurde, stellt sich mit ihrem neuen Tanztheaterprojekt der Heraus- forderung des Themas „Leben mit Ersatzteilen“ auf künstlerische Weise.
Sie greift damit ein medizintechnisches Thema auf, das das Deutsche Museum bereits 2004 in seiner Sonderausstellung “Leben mit Ersatzteilen” dargestellt hat. Im Rahmen der Zukunftsinitiative des Museums wird dieses Thema in naher Zukunft als Dauerausstellung “Gesundheit” wieder aufgegriffen. Medizintechnik ist ein Thema, das aus technischer und technikhistorischer Sicht ausnehmend interessant ist und gleichzeitig eine wesentliche soziale und ethische Komponente hat. Erfahrungsgemäß sind Museumsbesucher hieran besonders interessiert. Dementsprechend ist es für das Deutsche Museum reizvoll, sich der Thematik – Umgang mit Verlust und Ersatz eines Körperteils – aus künstlerischer Sicht zu nähern.
Das Tanzprojekt beleuchtet die Inhalte der Ausstellung, die Themen werden fühlbar in den Aufführungsraum, das Zentrum Neue Technologien im Deutschen Museum, projiziert. Dem Zuschauer wird so ein Gefühl dafür gegeben, wie es ist, wenn der Körper auf einmal nicht mehr „richtig“ funktioniert.
Pougets Tanztheater erforscht vor allem die Befindlichkeit und die Antriebskräfte der Seele nach dem Verlust der körperlichen Unversehrtheit – es bewegt sich dabei zwischen Butohtanz und Ballett.
Tanz und Gesang vermitteln einerseits die mentale Stärke, die aufgebracht werden muss, um eine Behinderung anzunehmen und mit ihr zu leben. Auf einer weiteren Ebene wird mit den Mitteln der Kunst gezeigt, was man spürt, wenn – mithilfe der Medizintechnik – Geräusche jahrelange Stille durchbrechen oder es wieder möglich wird zu laufen.
Yvonne Pouget ist die Kultivierung von Körper, Geist und Seele als Einheit – eines von Leonardo da Vincis sieben Lebensprinzipien – immer ein Hauptanliegen in ihrer Kunst.
Nicht umsonst wählte sie bereits 2004 „Corporalità“ als Titel einer ihrer bislang maßgeblichsten Produktionen. Im September 2012 eröffnete sie mit einer überarbeiteten Tanzfassung von „Corporalità“ ohne barocke Livemusik mit enormem Erfolg das Giovanni-Paisiello-Festival in Taranto/Italien.
Pouget, die als Choreografin und Solotänzerin für sich eine völlig eigene Bühnensprache gefunden hat, zählt mittlerweile zur etablierten Spitze der europäischen Tanzszene.
Sie realisiert metaphysische Theaterlabore, die sich dem logischen Verstehen entziehen, wo der Klang zur Gebärde und die Aufführung zu einem Raum wird, in den das Publikum mit allen Sinnen eintritt.
Für die in München lebende Choreografin ist der Tanz auf der Bühne ein intimer, interpsycho- logischer Prozess mit dem Zuschauer, eine Art Liebesakt mit dem Publikum, ebenso bewegend wie flüchtig und vergänglich. Die Leidenschaft und Intensität des Tanzes auf die Zuschauer zu übertragen, ist ihr ein zentrales Anliegen.
“Ich habe Tanz immer als einen intimen interpsychischen Prozess zwischen dem Akteur auf der Bühne und dem Publikum empfunden. Wenn Sie so wollen als einen Liebesakt. Und der Tanz stellt für mich die vergänglichste aller Kunstsparten dar. Er existiert nur im Augenblick, und diesen kann man nicht festhalten. Nicht auf Video, nicht mit fünf Kameras.
Alles was bleibt, sind die Bilder in den Köpfen der Zuschauer und die Bilder in ihren Herzen, die sie mit nach Hause nehmen, wenn es glückt wahrhaftig zu berühren. Auf die Bühne zu gehen braucht die Intensität eines absolut gelebten Augenblicks, ein Kind der Hingabe, als einzige Antwort auf die Vergänglichkeit. Intensität und Leidenschaft müssen vorhanden sein, denn darauf kommt es an. Ich sage dazu halten, und noch ein bisschen mehr, bis zum höchsten Punkt. Dort kann es gelingen, die Unendlichkeit zu küssen. Es wäre eine Verschwendung das Leben nicht zu leben, an diesem höchsten Punkt. Man hat nicht endlos Zeit, und auch der Körper ist nicht unendlich voller Energie, Kraft und Leben. Ein Tänzer muss nur ein einziges mal unglücklich stürzen, ein komplizierter Bruch, und mit dem Tanzen ist es vorbei. Der Tod ist damit in dieser Kunstform allgegenwärtig, die vorhandene Lust ist von der Gewissheit ihrer Endlichkeit überschattet. Aber was soll man machen? Nicht tanzen, den Körper wegen seiner Sterblichkeit verleugnen?
Mir hat sehr gefallen was mein Butoh Lehrer Ko Murobushi einmal zu mir gesagt hat, als ich ihn nach seinem Beweggrund zu tanzen gefragt habe: „Ich versuche in meinem Tanz nichts anderes, als einen Fuß vor den anderen zu setzen, mit aller Energie und Ausschließlichkeit, zu der ich fähig bin. Das ist meine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. So habe ich schlicht keine Zeit mehr darüber nachzudenken.“
Aus: „Licht und Abyss“ von Yvonne Pouget, erschienen 2012
Mit den Ausdrucksmöglichkeiten des aus Japan stammenden, mit modernen und klassischen Elementen versetzten Butoh-Tanzes, eröffnen sich dem Zuschauer völlig neue Theaterwelten, die ihn in sein eigenes „Dahinter“ seiner Seele eintauschen lassen. Die zeitlupenhafte Intensität des japanischen Butoh-Tanzes entfaltet mit elementarer Kraft einen Kosmos an Bildern und Ausdruckskunst.
Fünf gleichberechtigte Akteure inszenieren sich im Deutschen Museum dabei nahtlos ineinander: Die vom japanischen Butoh-Tanz geprägte eigene Formsprache von Yvonne Pouget kumuliert mit der überwältigenden tänzerische Ästhetik der klassisch wie zeitgenössisch ausgebildeten, einfühlsam wie technisch brillant agierenden Tänzer Natalia Palshina und David N. Russo. Die Tänzer fungieren dabei
als Verbindungsglied und Übersetzer der eingesetzten Tanzsprachen, und so gelingt es die „unsichtbare Welt des Seelischen“ und die „sichtbare Welt des konkret Erfassbaren” überzeugend darzustellen. Eine enorme Tiefe und Faszination gewinnt das Tanztheater außerdem durch die Obertonsängerin, Sopranistin
und Livemusikerin Anna-Maria Hefele und den Schauspieler und Sänger Giacomo Di Benedetto. Seit 2006 arbeitet Giacomo Di Benedetto eng mit der Choreographin Yvonne Pouget zusammen. Der italienische Jazz- und Popsänger wirkte bislang bereits in drei Tanztheaterproduktionen mit.
Die Personen, die im Stück auftreten, sind nur jeweils eine von fünf Manifestationen, sie vertreten das Menschliche schlechthin.
Mit diesen Ausdrucksmitteln wird das Tanztheater „Die Füße und Ohren der Engel – Leben mit Ersatzteilen“ zu einer klaren Aufforderung an den Zuschauer, in sich selbst hineinzuschauen und die Masken, die wir alle im Alltag tragen sowie die Rollen, die wir spielen, kritisch zu hinterfragen und den Mut zu finden auf beides zu verzichten.
Um so – seelisch entkleidet, pur und befreit – den Respekt vor dem eigenen Sein wiederzuentdecken und körperliche Unversehrtheit als ein Geschenk des Lebens dankbar und in Demut anzunehmen und wertzuschätzen.
THEMATISCHER RAHMEN DER TANZTHEATER-PREMIERE: PROTHETIK UND ERSATZTEILE
Die Choreographin Yvonne Pouget hat aus der Vielzahl der „Ersatzteile“, die die moderne Medizin bereithält, einige ausgewählt, die ihr für die künstlerische Botschaft und deren Umsetzung besonders geeignet scheinen.
Da sind zunächst einmal Prothesen, die die Funktion der Beine ersetzen können. Neben den immer besser werdenden Prothesen zur Bewältigung des Alltags, die mit dem Stelzbein des Piraten glücklicherweise nicht mehr viel zu tun haben, gibt es heute auch spezielle Sportprothesen aus Carbon, mit denen man laufen, aber nicht gehen kann.
Solche Prothesen benutzte beispielsweise der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius. Dem als „fastest man on no legs“ oder „Blade Runner“ bekannten Sportler fehlen von Geburt an durch einen Gen-Defekt beide Beine. Durch speziell für ihn angefertigte Prothesen war er nicht nur in der Lage zu laufen, sondern erreichte einen Weltrekord nach dem anderen.
Im Zusammenhang mit den Prothesen, die Teile des Bewegungsapparates des menschlichen Körpers ersetzen, wird die Choreographin ihre eigene Erfahrung mit einer cervikalen Bandscheibenprothese, die ihr im November 2012 implantiert wurde, künstlerisch bearbeitet auf der Bühne inszenieren.
Ein weiterer Bereich sind Prothesen, die Hörfunktion ersetzen können, die sog. Cochlea- Gehörimplantate.
Dabei geht es Pouget um die Veränderung der Wirklichkeit und des Realitätsempfinden beim Ausfall der Hörfunktion – in einem unfreiwilligem Leben in Stille. Die Künstlerin versucht hinzuspüren, was man fühlen muss, wenn Geräusche mithilfe der Medizintechnik jahrelange Stille durchbrechen. Der Choreografin und Regisseurin ist es hier ein großes Anliegen, dem Publikum ins Bewusstsein zu rufen, wie kostbar, aber auch wie fragil das Hörvermögen ist, und wie sehr Musik in der Lage ist, die Seele zu erfrischen und zu nähren. Dass körperliche Unversehrtheit im allgemeinen ein kostbares Geschenk des Lebens ist, das man als Gesunder leicht zu selbstverständlich nimmt.
Aber auch ein auf den ersten Blick vielleicht weniger spektakuläres Ersatzteil – die Perücke – wird die Künstlerin, die sich im Juni 2012 in ihrem Solo „Die Puppe“ mit weiblicher Identität und dem konventionellen Verständnis von Weiblichkeitsbildern in der westlichen Welt auseinandergesetzt hat, in den Fokus des Zuschauers rücken.
Denn die Wahrnehmung von Weiblichkeit und weiblicher Identität hängt nicht am seidenen Faden, sondern am Kopfhaar, resümiert die Choreografin und Regisseurin aus eigener Erfahrung. Sie trägt selbst seit 20 Jahren Glatze – nicht freiwillig, sondern krankheitsbedingt.
Perücken gibt es auf Krankenschein, denn der Verlust der Kopfhaare hat bei einer Frau enorme Folgen, u.a. hinsichtlich der sozialen Akzeptanz.
Das Tragen einer Glatze wird in der Regel als nicht normal angesehen, sondern als Provokation – als eine beabsichtigte Zurschaustellung. Dazu kommt, dass eine Frau ohne Haare nicht mehr als weiblich wahrgenommen wird, sie wird leicht auf ihre fehlenden Haare reduziert und diskriminiert.
Noch viel gravierender sind die Folgen, wenn das Gesicht verletzt wurde, wenn Narben die „Visitenkarte des Individuums“, den Spiegel der Seele entstellen. So geht die Produktion auch auf die Bedeutung und die Möglichkeiten der Gesichtsrekonstruktion nach schweren Unfällen ein.

TECHNIK-HISTORISCHE ANMERKUNGEN ZUM TANZTHEATER VON SABINE GERBER
Dr. Sabine Gerber hat als Kuratorin an der Ausstellung “Leben mit Ersatzteilen” mitgearbeitet. Heute leitet sie die Hauptabteilung Naturwissenschaften im Deutschen Museum.
„Als ich ein paar Wochen nach der Amputation dann das erste [künstliche] Bein erhielt, konnte ich gar nicht genug davon bekommen. Ich bin nur noch damit rumgerannt. Es war mir egal, ob das jetzt ein Fremdkörper war oder nicht – denn das war jetzt endlich ein Bein, das ich richtig benutzen konnte. Das war echt toll für mich.“
So äußerte sich eine oberschenkelamputierte, sportlich sehr aktive junge Frau, die im Kindesalter wegen einer Krebserkrankung ihr Bein verlor; ein Zitat aus einem Interview für die Sonderausstellung „Leben mit Ersatzteilen“, die im Deutschen Museum 2004 zu sehen war. Mit diesem Zitat kommt die oft vernachlässigte und dabei zentrale Selbstverständlichkeit, sich unbeschwert und frei bewegen zu können ebenso zum Ausdruck wie die große Chance durch eine Beinprothese ein sehr hohes Maß an Bewegungsfreiheit und damit auch an Lebensqualität (wieder) zu erlangen.
Das war aber beileibe nicht immer so!
Der Weg zu modernen, funktionalen Beinprothesen war lang, wie ein kleiner Rückblick in die Geschichte der Prothetik deutlich werden lässt:
Im 16. Jahrhundert zählte die Holzstelze zur Standardversorgung für Unterschenkelamputierte. Das Körpergewicht wurde hier nicht vom Amputationsstumpf getragen (was zum Wundreiben und zu Entzündungen geführt hätte), sondern vom Knie, mit dem man auf einem Kissen in der Prothese kniete. Mit Stelzbeinen konnte man sich nur mühsam fortbewegen. Meist war es nicht mehr möglich, einer geregelten Arbeit nachzugehen, weshalb Amputierte zu Almosenempfängern wurden, denen man mit Misstrauen und Abwehr, aber auch mit Mitleid begegnete. Daran änderte sich in den nächsten beiden Jahrhunderten nur wenig – Prothesen, die über Lederköcher und Gurte befestigt wurden, konnten das äußere Erscheinungsbild zwar besser wiederherstellen, entsprachen funktionell aber immer noch dem Stelzbein, da das Kniegelenk beim Gehen nicht bewegt werden konnte.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen Ärzte und Ingenieure wie Johann Georg Heine, Johannes Scheuring oder Friedrich von Esmarch erstmals anatomische und biomechanische Überlegungen beim Bau von Beinprothesen einzubeziehen und entwickelten ein bewegbares Prothesenknie. Solch ein (funktionales) Prothesenknie darf beim Stehen und Auftreten nicht einknicken und muss sich beim Abrollen beugen und nach vorne schwingen lassen. Dies ermöglicht ein Scharnier-Kniegelenk, das gegenüber dem natürlichen Kniegelenk nach hinten versetzt ist, und mit dem eine gewisse Standsicherheit beim Auftreten erreicht werden kann; die restliche Stabilisierung muss der Amputierte mit der Muskulatur seines Oberschenkelstumpfes selber leisten.
Neben diesen technischen Verbesserungen versuchte man vor allem nach den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts aus sozialen, aber auch aus ökonomischen Gründen, Kriegsversehrte durch medizinische, orthopädische und sozialpsychologische Maßnahmen wieder ins Alltags- und Berufsleben zu integrieren.
Heute sind Beinprothesen meist modular aufgebaut und bestehen aus einer tragenden Rohrkonstruktion im Inneren und, wenn gewünscht, einer kosmetischen Ummantelung. Das funktionell wichtigste Bauelement einer Oberschenkelprothese ist nach wie vor das Prothesenknie, dessen Auswahl (neben den Kosten) vom körperlichen Zustand der Patienten sowie von deren individuellen Erwartungen und beruflichen Tätigkeit abhängig ist: Es gibt mechanische, hydraulische, pneumatische und, als neuester Stand der Technik, elektronisch gesteuerte hydraulische Systeme: Bei letzteren erfassen Sensoren die Belastung im Knöchel und die Beugung des Knies in jeder Schrittphase. Dementsprechend wird das Kniegelenk beim Stehen und Auftreten gesichert und beim Vorschwingen des Beins freigegeben. Mit diesen Kniegelenken lässt sich das Prothesenbein auch im abgewinkelten Zustand belasten, was es ermöglicht, Treppen und Schrägen abwärts zu gehen, ohne das Prothesenbein nachzuziehen. Trotz aller modernen Technik können jedoch die meisten Menschen mit einer Oberschenkelprothese eine Treppe nicht alternierend hinaufgehen, da ihnen lediglich die Oberschenkel- und Hüftmuskulatur zur Verfügung steht und damit der Energieaufwand beim Treppensteigen mit dem Prothesenbein außerordentlich hoch wird.
Galten Beinprothesen noch bis in die 1980er Jahre hinein als bloße Gehhilfen, gibt es heute spezielle Prothesen, die als reine Sportgeräte konzipiert sind. Mit ihnen kann man sich beim Sport schnell, energiesparend und mit einem (fast) perfekten Gangbild bewegen und verschiedene Sportarten betreiben. Zentrales Bauteil solcher Sportprothesen ist der flexibel gefederte Fuß aus Carbonfasern. Dazu kommen ein extrem schnell reagierendes Kniegelenk und ein besonders gut angepasster Prothesenschaft. Diese Sportprothesen sind inzwischen so gut, dass sich Ausnahmesportler wie der beidseitig beinamputierte Südafrikaner Oscar Pistorius für die Olympischen Spiele in London 2012 qualifizieren konnte. Die mit der Qualifikation verbundene Diskussion, ob ein Sportler, der eine Prothese trägt, womöglich Vorteile gegenüber einem Sportler ohne Prothese hat, beendete der Internationale Sportgerichtshof vorerst durch sein Urteil, das Pistorius in einer Einzelfallentscheidung die Teilnahme an den Olympischen Spielen erlaubte – mit der Begründung, dass es sowohl läuferische Vorteile für den Prothesenträger gebe als auch Nachteile.
Aber: selbst wenn eine Sportprothese im Wettkampf ernsthafte Vorteile mit sich brächte, bliebe für den Beinamputierten immer noch seine körperlichen Einschränkungen im Alltag – und der Verlust der körperlichen Unversehrtheit. Und genau hier setzt Yvonne Pouget in ihrem Tanztheater an: der Verlust eines Körperteils und die damit verbundene Beschädigung der Seele. Im Laufe des Stückes zeigen die Tänzer, wie Menschen lernen, mit einem solchen Verlust umzugehen: Medizinische Hilfsmittel wie Prothesen unterstützen den Körper zwar dabei, die Bewegungseinschränkung zu kompensieren, letztendlich ist es aber allein die Seele, die den Verlust überwinden kann.
MITWIRKENDE
GIACOMO DI BENEDETTO // Gesang, Performance
Giacomo Di Benedetto ist ein italienischer Jazz- und
Popsänger.
Der 1966 in Florenz, Italien geborene Sänger und
Schauspieler erkennt schon in frühen Jahren seine Liebe zur Musik. Bereits in den 1980er Jahren war er der Leadsänger verschiedenen lokal bekannten Bands in Florenz. Mit dem Song Vattene Via belegte Di Benedetto 1986 den dritten Platz beim renommierten San Marino Festival. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Köln, wo er Sänger der Funkband
Choose Me wurde. Von 1994 bis 1998 studierte er
Jazzgesang an der Folkwang Hochschule in Essen bis zum Diplom. Im Anschluss unternahm er eine Deutschlandtournee mit dem Trompeter Uli Beckerhoff und der Sängerin Norma Winstone. Es folgten weitere Tourneen, die den Sänger quer durch Deutschland und Europa gebracht haben, u.a. mit dem Pianisten Lutz Potthoff und als Leadsänger bei „Zirkus Roncalli Orchestra“. Seit 2006 arbeitet Di Benedetto eng mit der Choreographin Yvonne Pouget zusammen. Aus dem ersten gemeinsamen Projekt „IL VIAGGIO – La Smorfia della Vita“ entwickelte sich eine tragfähige Künstler- partnerschaft. Di Benedetto wirkte danach als Sänger und Schauspieler in den bei der Presse wie dem Publikum hoch gelobten Tanztheaterproduktionen „HOCH OBEN WEITES BLAU“, und „VITA TU MI FAI MORIRE“ von Yvonne Pouget mit. Wiederaufnahmen und Gastspiele folgten. 2011 waren Pouget und Di Benedetto mit „Il Viaggio – la smorfia della vita“ beim „Vancouver International Dance Festival“ eingeladen.
ANNA-MARIA HEFELE // Sopran, Live-Musik
Anna-Maria Hefele entstammt einer Familie von Musikinstrumentenbauern. Von 2005 bis 2009 absolvierte sie eine Ausbildung zur Anschauungsmodellbauerin beim Deutschen Museum München, die sie als Jahrgangsbeste der Bundesrepublik Deutschland abschloss.
Seit 2005 beschäftigt sie sich intensiv und hauptsächlich mit dem Obertongesang – einer Stimmtechnik, bei der der Eindruck erweckt wird, dass eine Person zwei Töne zur selben Zeit singt; erste Kompositionen für Obertonstimme solo entstanden ab 2006.
Von 2010 bis 2012 war sie als Sängerin und Obertonsängerin für das Stück „Garden of Other“ beim Ballett des Nationaltheater Mannheim engagiert. Zur Choreografie von Dominique Dumais wurde stets Live-Musik gespielt, mit Gesang, Obertonflöte, Sansula (Anna-Maria Hefele), indischen Instrumenten (Emiliano Trujillo) und Percussion (Peter Hinz).
Anna-Maria Hefele singt im Deutschen Jugendkammerchor unter der Leitung von Prof. Göstl, im Obertonchor München unter der Leitung von Matthias Privler und beim Europäischen Obertonchor unter der Leitung von Prof. Steffen Schreyer und Wolfgang Saus. Auch ist sie Mitglied bei den Garchinger Pfeifern unter der Leitung von Dr. Gerd Pöllitsch, die sich der ursprünglichen alpenländischen Volks-und Pfeifermusik widmen.
Seit 2010 studiert Anna-Maria Hefele „Elementare Musik- und Tanzpädagogik“ mit Hauptfach Gesang am Orff Institut des Mozarteums Salzburg.
Seit der Kindheit tanzt sie Latein-und Standardtänze, seit Anfang 2010 auch zeitgenössischen Tanz. Sie spielt diverse Instrumente wie Nyckelharpa, Harfe, Mandoline und Schwegel. Ab 2006 begann sie mit dem Bau von Musikinstrumenten für den Eigenbedarf wie Didgeridoo, Schwegel (alpenländische Querflöte aus Holz ohne Klappen mit sechs Grifflöchern), Okarina, Fozhobel (alpen- ländische Panflöte), Barock-Traversflöte, böhmische Hakenharfe.
NATALIA PALSHINA // Tanz
Natalia Palshina wurde von 1993-2000 an der Moskauer Ballettakademie ausgebildet und besuchte von 2000-2002 die Ballettschule der Wiener Staatsoper.
Sie sammelte an diversen Opernhäusern und auf verschiedenen Festivals Erfahrungen, angefangen mit dem Ballets des jeunes d’Europe in Lubéron 1999, gefolgt von der Wiener Staatsoper von 2002-2006. 2005 führte sie das Spoleto Dance Festival nach Italien bevor sie schließlich 2006-2007 an der Berliner Staatsoper mit Vladimir Malakhov arbeitete. Von 2007-2008 tanzte sie am West Australien Ballet in Perth und 2009 auf dem Visa 2 Dance Festival in Tansania. Während dieser Zeit tanzte sie unter anderem „Sechs Tänze“ in der Choreografie von Jiri Kylian, „Step Lightly“ in der Choreografie von Paul Lightfood und „How do like it“ in der Choreografie von Simon Dow. Außerdem tanzte sie die Olga in Onegin mit Vladimir Malakhov, die Luisa im „Nussknacker“ in der Choreografie von Patrice, die Klara im „Nuss- knacker“ in der Choreografie von Ivan Cavallari und „Theme and Variations“ von George Balanchine.
Seit der Spielzeit 2012/2013 ist sie Mitglied im Ballettensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz.
YVONNE POUGET // Idee, Choreografie, Regie, Tanz
Yvonne Pouget, Geboren 1967, ist freischaffende Künstlerin, Choreographin, Regisseurin und Tänzerin. Sie genießt das Renommée als international anerkannte und erfahrene Ausnahmekünstlerin, die sich in der anspruchsvollsten aller Kunstsparten auf internationalen großen Tanzfestivals als Choreographin und Tänzerin behauptet – „Italian-born and Munich based, Yvonne Pouget has developed a reputation as one of Europe’s leading choreographers“ (Plank Magazin, Vancouver International Dance Festival 2011).
Ihre Kunst nimmt in der freien Tanzszene einen besonderen Platz ein, da sie eine ganz eigene Bühnensprache entwickelt hat.
In ihren Inszenierungen wie in ihrer Seminararbeit konzentriert sie sich auf die Essenz des Psychischen, deren Formensprache sie als einen Akt symbolischer Wunscherfüllung begreift: Diese „Körpersprache der Poesie“ eröffnet in der Welt auf der Bühne das, woran die Realität scheitert und wird zu einer Art „Flügelbaubewilligung“ für die Seele. Ihr gelingt es, persönliche Emotionen in universelle umzuwandeln, und dem Publikum so tiefe seelische Welten zu erschließen. Der Zuschauer wird dabei klar dazu aufgefordert, in sich selbst hineinzuschauen, um die eigene Menschlichkeit und den Respekt vor dem eigenen Sein wiederzuentdecken, mit allem was es bedeutet menschlich zu sein. Ein Austausch, der hinter die Fassade geht ist ausdrücklich erwünscht, Gefühle dürfen sein und werden nicht bewertet, Schönheit erscheint mit einem ganz anderen Gesicht, als man sie kennt.
Pouget verbindet dabei ihre eigenen Bildwelten mit anderen Kunstsparten.
Die letzten Jahre hat sie sich intensiv auf wissenschaftlicher Basis mit dem Themenkreis posttraumatische Belastungsstörung, Dissoziation, weiblichen Körperbildstörungen sowie der Weitergabe von Kriegstraumata an die nächsten Generationen beschäftigt. Sie gilt heute zu recht als Expertin und Pionierin für die Umsetzung inhaltlich anspruchsvoller Themen auf der Bühne.
www.yvonnepouget.com
DAVID N. RUSSO // Tanz, Choreografie
Nach seiner Ausbildung an der John Cranko Akademie in Stuttgart erhielt er 1997 ein Stipendium der Birgit Keil Stiftung. Danach folgten Engagements als Solotänzer am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken unter der Leitung von Birgit Scherzer und Bernd Bienert, am Staatstheater am Gärtnerplatz bei Philip Taylor (2000-2005) und letztlich bei Hans Henning Paar (2007-2010).
Bis zum heutigem Tag lebt und arbeitet er in München: neben seinem Festengagement beim btm und TTM, wo er mit vielen Choreografen arbeitete, u.a. Jiri Kylián, William Forsythe, Stephan Thoss, Rui Horta, Marco Goecke und Cayetano Soto, choreografiert er seit 2004 regelmäßig eigene Stücke, u.a. auch für die Birgit Keil Stiftung, das Ballet Philippines und das Ulmer Ballett Ensemble. Daneben organisiert er Veranstaltungen in der Münchner Freien Szene.
Im Dezember 2005 entstand die Solo-Performance MARVIN in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Jasmine Morand, mit Auftritten in der Schweiz, den Niederlanden und im Mai 2010 beim San Francisco International Art Festival. 2006 tanzte David Russo als Gast den Puck im SOMMERNACHTSTRAUM in der Choreografie von Robert North am Teatro Nuovo Torino und im Juni 2009 an den Bühnen Krefeld/Mönchengladbach. Im Juni 2010 schloss er sein Aufbaustudium in Ballettpädagogik ab und ist seit Anfang September als Dozent für Klassischen und Zeitgenössischen Tanz an der Ballettakademie der Hochschule für Musik und Theater München tätig. Im September 2010 erhielt David Russo mit seinem jüngsten Stück EIN-FLUSS den ersten Preis beim 2. Internationalen Choreografen-Wettbewerb „contact energy“ in Erfurt.
AKTUELLE KRITIK: YVONNE POUGETS ERÖFFNUNG DES GIOVANNI-PAISIELLO-FESTIVALS
Paisiello zwischen Orient und Okzident von Gionvanni Fornaro, Corriere del Giorno
„Es ist eine Freunde festhalten zu können, das es in der uninspirierten, derangierten Situation, in der sich das zeitgenössische Theater auf lokaler wie auf nationaler Ebene befindet, dennoch möglich ist, eine so herausragende Arbeit zu produzieren, durch außerordentliches Engagement, das hier wie im besten Fall einen Erfolg auf höchstem Niveau auf sowohl menschlicher als auch künstlerischer Ebene hervorgebracht hat.
Und genau das gilt es festzuhalten, wenn man über die Eröffnungsproduktion des Giovanni-Paisiello- Festival 2012 resümiert, das wie im Vorjahr wieder im Rahmen der Festival für Alte Musik (musicaanticainpuglia.it), organisiert von Puglia Sounds statt findet. Auch wenn Corporalitá, mit teilweise anderen Musikstücken und in anderer Besetzung schon 2008 in Schwäbisch Gmünd aufgeführt wurde, was die Verbindungen zwischen „coreutica“ und dem Repertoire von Paisiello betrifft, handelt es sich bei dem Stück um eine Premiere.“
(…)
Die Choreografin, Regisseurin, und Tänzerin Yvonne Pouget hat ihren künstlerischen Wohnsitz in München und ist wohl bekannt und hochgeschätzt in der internationalen Tanzszene. Ihr gelingt eine vielschichtige Verschmelzung zwischen den Erfahrungen mit dem japanischen zeitgenossischen Theater – besonders in der Tanzausdrückform BUTOH – und den klassischen und zeitgenossischen Tanztechniken. Daraus entsteht eine Ausdruckskunst von hoch beeindruckender Art, die direkt ins Herz, in das Zentrum, was es bedeutet Mensch zu sein, trifft. Auf der Bühne als auch im Zuschauerraum ist alles von einem emotionalen roten Faden durchzogen, der eine ständige Spannung zwischen den Tänzern und dem Publikum hält.
(…)
Ein sehr langer Applaus hat deutlich unterstrichen, wie gut die Aufführung beim Publikum angekommen ist: ein gelungener Auftakt des Festivals unter der Leitung von Lorenzo Mattei und der „Associazione Amici della Musica Arcangelo Speranza“.“
Veröffentlicht am 11. September 2012 in der Tageszeitung „Corriere Del Giorno“ sowie am 10. September 2012 auf drammaturgia.it

SERVICE
SPIELORT
Deutsches Museum Museumsinsel 1, 80538 München www.deutsches-museum.de
TERMINE
7. / 8. November 2013. Veranstaltungsbeginn: 20:00 Uhr. Abendkasse ab 18:30 Uhr, Einlass ab 19:45 Uhr
TICKETS
€ 18.- / ermäßigt € 14.-
RESERVIERUNG
Yvonne Pouget
Choreografin / Regisseurin / Tänzerin www.yvonnepouget.com
Karten können vom 7.10. bis einschließlich 6.11. unter folgenden Adressen reserviert werden: Telefon: 089/2179-355, E-Mail: tanztheater@deutsches-museum.de
ABENDKASSE
Die Abendkasse ist an den Veranstaltungstagen ab 18:30 Uhr geöffnet.
MEDIENBETREUUNG
Knoll PRKommunikation Architektur + Kultur
Ulrich Stefan Knoll
Tel.: 08161/232390 E-Mail: mail@knoll-pr.de
KONTAKTDATEN DER CHOREOGRAFIN
Yvonne Pouget
Nußbaumstr. 30, 80336 München
Tel.: 089/533022
E-Mail: info@yvonnepouget.de
www.yvonnepouget.com
WISSENSCHAFTLICHE BETREUUNG
Dr. Sabine Gerber-Hirt
Leitung Hauptabteilung Naturwissenschaften am Deutschen Museum
Museumsinsel 1, 80538 München
Tel.: 089/2179565
E-Mail: s.gerber@deutsches-museum.de
WEITERE INFORMATIONEN www.deutsches-museum.de/ausstellungen/neue-technologien/tanztheater
Pressekontakt
Ulrich Stefan Knoll Vimystr. 24, 85354 Freising Tel./Fax: 08161 232390
mail@knoll-pr.de

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